Meinung des Tages: Das Fehlen des „Wir-Gefühls“ in Deutschland – könnt Ihr das anhaltende Gefühl der Spaltung zwischen West und Ost nachvollziehen?
Über 28 Jahre lang stand die Berliner Mauer als Symbol der deutschen Trennung im Kalten Krieg in unserer aktuellen Hauptstadt. Am 09. November 1989 fiel die Berliner Mauer dann letztlich – das ist nun bald 35 Jahre her und dennoch zeigt der Jahresbericht deutsche Einheit, dass nach wie vor vielen Menschen das „Wir-Gefühl“ fehlt.
Ost und West
Große Unterschiede gibt es noch immer zwischen West und Ost – beispielsweise beim Einkommen, der Lebenserwartung oder auch dem Vermögensstatus. Wo weniger Vermögen vorhanden ist, wird erfahrungsgemäß dazu, dass bei Krisen sehr sensibel reagiert wird, weil schlichtweg die Rücklagen fehlen. Auch Wohneigentum ist seltener.
Bürger der zweiten Klasse?
Ostdeutsche fühlen sich nach wie vor häufig als Bürger der zweiten Klasse. Betrachtet man beispielsweise die Wirtschaft – und die Teilhabe in der Gesellschaft von Ostdeutschen – so zeigt sich: Vier Prozent der Positionen, die in der Wirtschaft entscheiden, sind durch Ostdeutsche besetzt. Allerdings sind insgesamt 20 Prozent der Bevölkerung Deutschland ostdeutsch.
Laut SPD-Mann Schneider könnten auch die neusten Ergebnisse der Landtagswahlen dem Ansehen Ostdeutschlands schaden. Dadurch – so der Politiker – könnten Westdeutsche an Motivation verlieren, in den Osten zu ziehen. Auch Investoren könnten abgeschreckt werden.
Gesellschaftlicher Zusammenhalt, Werte und Wir-Gefühl
Die Umfrage zeigt, dass Ost und West sogar in einigen Punkten recht ähnliche Ansichten haben. So möchten insgesamt mehr als 80 Prozent, dass die freiheitlich demokratischen Grundrechte und -werte gewährleistet sind. Dazu gehören etwa die Gleichberechtigung, Chancengleichheit, die friedliche Koexistenz von Religionen, das Leistungsprinzip und auch das soziale Miteinander sowie die soziale Gerechtigkeit.
Spaltungen gibt es aber bei anderen Themen – etwa bei den Themen Klima und Migration. In Ostdeutschland herrschen diesbezüglich eher Ablehnung und Skepsis.
Vermutlich etwas erschreckend dürfte das Ergebnis der Umfrage sein, das über das mangelnde „Wir-Gefühl“ der Gesellschaft berichtet. Lediglich 14 Prozent der Befragten gaben an, dass sie finden, dass es in der deutschen Gesellschaft einen großen Zusammenhalt gibt. Auch empfand nur ein Viertel der Befragten, dass sich Mitmenschen gegenseitig unterstützen.
Im Osten empfinden übrigens durchschnittlich die Befragten diese Kriterien noch schlechter als diejenigen im Westen.
Unsere Fragen an Euch:
- Seht Ihr noch eine Trennung zwischen Ost und West?
- Was müsste getan werden, damit Ostdeutsche sich besser eingebunden fühlen?
- Wie empfindet Ihr das „Wir-Gefühl“ und den Zusammenhalt in der deutschen Gesellschaft?
- Denkt Ihr, dass die politischen Ergebnisse der neusten Wahlen den Osten schlechter dastehen lassen werden?
Wir freuen uns auf Eure Antworten und wünschen Euch einen guten Start ins Wochenende!
Viele Grüße
Euer gutefrage Team
215 Stimmen
62 Antworten
Ich sehe eher wenig eine Spaltung zwischen West und Ost, sondern das sogenannte "Wir" Gefühl ist meiner Meinung nach in komplett Deutschland nicht wirklich gut.
„West“ und „Ost“ ist vermutlich eher eines der kleineren der gesellschaftlichen Probleme. Wenn es nur das wäre, würde ich sagen, dass die deutsche Gesellschaft halt einfach zwei „Wir-Gefühle“ hat. Das wäre geradezu erträglich verglichen mit dem „Jeder gegen alle“, das vorherrscht. Die Deutschen gegen die Ausländer, die Bürgergeldler gegen die Geringverdiener, die Moslems gegen die Christen, die „Woken“ gegen die „Das-wird-man-ja-noch-sagen-Dürfler“, die AfD gegen alle anderen Parteien, die Impfgegner gegen die Panikschieber, die Rentner gegen die jungen Familien, die queere Community gegen die glühenden Beschützer der deutschen Sprache…. Jeder hält sein eigenes Anliegen für das wichtigste, keiner ist mehr kompromissbereit, alle gehen nur noch mit dem Kopf durch die Wand und Nieten auf dem Weg am besten noch links und rechts jemandem mit dem Ellenbogen um.
Ich würde sagen, dass die starke Führung von Merkel das Problem gerade erst verursacht hat.
Welche "starke Führung"? Sie hat Probleme hauptsächlich ausgesitzt. Und das was sie entschieden hat war die letzten 4 Jahre nicht gerade förderlich für die Gesellschaft. Aber das war 2015 schon absehbar.
Mag sein. Aber wenn sie irgendwas gesagt hat, war das quasi Gesetz. Da hat dann keiner mehr widersprochen.
Sie hat Führung in der Finanzkrise bewiesen. Danach hat sie sich auf den Lohrbeeren und der sehr starken Wirtschaft ausgeruht. Wie du sagst hatte sie auch kaum Gegenwind als sie 2015 die Grenzen öffnete, ab da ging es bzgl. ihrer Führung bergab, bzw. war ab 2015 geistig in der Rente.
als sie 2015 die Grenzen öffnete
Das ist das was ich meine. Merkel hat die Grenzen geöffnet. Das war nicht das Ergebnis einer langen Debatte im Parlament, sondern die Entscheidung von Merkel. Das ist das, was einen starken Führer ausmacht. Er entscheidet einfach.
Ich würde das eher als schwäche ansehen wenn man alles und jeden reinlässt anstatt klar zu zeigen wo die Grenze ist.
Seht Ihr noch eine Trennung zwischen Ost und West?
Ganz offensichtlich, wie ihr selber aufzeigt. Aber auch in den Köpfen egal ob Ost oder West. Die Wahlergebnisse zeigen es ja ebenfalls.
Was müsste getan werden, damit Ostdeutsche sich besser eingebunden fühlen?
Das ist die entscheidente Frage. Ich habe keine Antwort darauf.
Ganz offensichtlich ist ein erheblicher Teil der Ostdeutschen sich bis heute nicht bewusst das Freiheit, Demokratie und Wohlstand auch ein hohes Maß an Eigenverantwortung bedeutet. Während die Westdeutschen diese Kompetenzen seit Kriegsende defakto erlernen konnten wurde den Ostdeutschen eine Einparteiendiktatur übergergestülpt, in welchem der Staat in nahezu alle Lebensbereiche eingriff oder die Verantwortung trug.
Diese Sehnsucht nach starker Führung, der Staat kümmert sich, ist ebenso noch vorhanden wie das kuschen vor dem großen Bruder. Antiamerikanismus ebenso wie eine tiefe Ablehnung der Nato, die nicht als Verteidiger sondern als Aggressor gesehen wird. Es gibt zahlreiche Beispiele in welchem es fundamentale Unterschiede gibt, ihr habt selbst welche genannt.
Ich weiß nicht wie das zu lösen ist. Für mich steht aber fest das es nach der Wiedervereinigung dem Westen nicht gelungen ist, die Ostdeutschen in ihrer Gesamtheit in ein neues System zu integrieren.
Am Ende wird man es wohl so hinnehmen müssen. So wie ich die CSU in Bayern.
Wie empfindet Ihr das „Wir-Gefühl“ und den Zusammenhalt in der deutschen Gesellschaft?
Keine Ahnung, gab's das je? Spätestens mit dem Aufschwung der Populisten, Internet /Social Media Trump, Corona, gehen doch tiefe Risse durch die gesamte Gesellschaft.
Denkt Ihr, dass die politischen Ergebnisse der neusten Wahlen den Osten schlechter dastehen lassen werden?
Selbstverständlich, was für einen Eindruck sollen Menschen die von außen auf Ostdeutschland schauen schon bekommen angesichts der Wahlergebnisse von Faschisten und Putinisten.
Grüße aus Sachsen
Ein ehemaliger DDR und jetziger Bundesbürger
Passend zum Thema
https://www.youtube.com/live/X7nu10aD8ug?si=eFo3odsWtYMndCNM
Danke sehr
Schau mal die Antwort von eingew an. Er hat meiner Meinung nach auch ein paar gute Punkte an welche ich so nicht gedacht hätte.
Na ja, die Hochwahl der AfD kommt nicht einfach von irgendwoher. Das ist das Ergebnis der Misswirtschaft unserer jetzigen Ampel-Politik, die alles in Grund und Boden stürzt. Und ansonsten ist Dein Statement, lieber JMJreboot, sehr gut geschrieben und auch beschrieben. Dankeschön.
Der Aufschwung der Rechtspopulisten begann bereits lange vor der Ampel.
Sie sind lediglich geschickt darin jede Krise für sich zu nutzen.
Aber ich danke dir für dein Lob.
So mies finde ich die Ampel auch gar nicht, da wird in den Medien einfach viel aufgebauscht. Man darf außerdem nicht vergessen, dass die sich selbst nicht wollte und nur eine Notlösung war, um überhaupt irgendeine Regierung zu bilden. Das kann man den Parteien wohl kaum vorwerfen.
Man kann zurecht vieles kritisieren zumal die drei Parteien untereinander sich selbst nicht grün sind.
Das schlechten öffentliche Bild lasstet ich aber vor allem der Opposition an, allen voran AFD, CDU und nun BSW/Wagenknecht.
Wenn Fehler gemacht werden muss man selbstverständlich den politischen Kontrahenten kritisieren, aber auf einer sachlicher, durchaus auch scharfenEbene.
Das ist inzwischen überhaupt nicht mehr der Fall. Stattdessen wird gegen einzelne Politiker vollkommen niveaulos regelrecht gehetzt.
die von außen
Das ist der entscheidende Punkt, es betrifft nur Außenstehende. Bei den Ossis steht der Osten gut da!
Denkt Ihr, dass die politischen Ergebnisse der neusten Wahlen den Osten schlechter dastehen lassen werden?
Ja, weil Westdeutsche aus dem Wahlergebnis falsche Rückschlüsse ziehen. Ich habe den Eindruck, dass Westdeutsche Ostdeutsche oft einfach als dumm ansehen. Allerdings denke ich auch, dass es (unter Voraussetzung, dass sich die Politik nicht drastisch ändert) nur eine Frage der Zeit ist, bis in Westdeutschland ähnlich gewählt wird. Vielleicht ändert sich das dann, und die Trennung verschwindet. Die Frage ist nur, ob sich die Gesellschaft bis dahin so stark radikalisiert hat, dass wir ganz andere Trennungen haben.
Ich bin deutlich nach der Wende geboren. Die Mauer existiert für mich nur noch in den Geschichtsbüchern und ich habe noch niemanden anders behandelt, nur weil er woanders herkommt.
Mir ist jedoch schon oft aufgefallen, dass "ältere" das gerne anders handhaben und das große Problem was ich dabei sehe: Da können sich ziemlich viele Leute an die eigene Nase packen.
Und zwar beide, Ost und West gleichermaßen.
Ja, West hat durch das Machtgefälle im Zweifel sicher den größten Schaden angerichtet.
Gleichzeitig sind die Erwartungen in Ost gelinde gesagt absurd. Weil der Vergleich zwischen West und Ost in wirtschaftlicher Hinsicht hanebüchen ist. Ja, wir teilen eine Kultur. Aber ein Wirtschaftssystem teilen wir erst seid knapp zwei Generationen. Der realistische wirtschaftliche Vergleich für Ostdeutschland wären die anderen Wirtschaftssysteme der ehemaligen Sowjetunion. Den zieht aber niemand. Spannenderweise ist dann Ostdeutschland eben keine abgehängte zurückgebliebene Region, sondern ganz oben an der Spitze mit dabei.
Die Westintegration hat in Ostdeutschland wirtschaftlich also nicht schlechter, sondern besser geklappt als anderswo.
Was viele auch gern ignorieren, ist, dass ein Niedriglöhner nunmal tatsächlich ein direktes wirtschaftliches Interesse an weniger Einwanderung hat - weil er eben direkt wirtschaftlich mit den Einwanderern, die häufig noch niedrigere Löhne akzeptieren, konkurriert. Sicherlich kann man über den korrekten Umgang mit dieser Tatsache lange diskutieren - aber sie leugnen? Sinnlos.
Ich sehe politisch wenig Willen, aufeinander zuzugehen. Die Diktatur in der DDR wurde mEn nicht korrekt aufgearbeitet - in den Geschichtsbüchern und in der Schule sicherlich, aber in der Politik? Wo waren die Verurteilungen und Gerichtsprozesse? Die "Entnazifizierung" vom Kommunismus? Die SED wurde nicht verboten, sie existiert sogar bis heute weiter und nimmt Einfluss auf die Politik. Ich habe nichts gegen eine starke linke Partei, aber eine Partei die in der Vergangenheit aktiv nachweisbar Terrorismus und Menschenrechtsverstöße zu verantworten hat? Finanziell, mit Material, Schutz vor Strafverfolgung, politisch usw? Ja, es gab vereinzelte Verurteilungen und Gerichtsprozesse gegen eklatante Menschenrechtsverstöße, aber das wars.
Die politische Wende war nur oberflächlich. Über die alten Konflikte wurde bloß eine Decke gelegt. Dabei wussten wir eigentlich, wie es geht, die BRD selbst entstand aus den Trümmern eines Unrechtsstaats und da wurde ganz genau hingeguckt, wer das neue System aufbaut. Sicher kann man auch hier ganz viel kritisieren, sollte man auch, auch hier wurde viel nicht komplett durchgezogen.
Aber es gab zumindest eine real existierende breite öffentliche Aufarbeitung. Bei der DDR war da wenig bis nichts.
Sehe ich ganz genau so - und das kommt davon wenn ein Land ohne Führung ist, welche eine Richtung vorgibt.